Die Regatta

Andere Mode, andere Boote: Marinekutterregatta auf der Kieler Innenförde im Jahr 1961. Foto: Kieler Stadtarchiv – Friedrich Magnussen (CC BY-SA 3.0 DE)

Die Marinekutterregatta stellt den historischen Kern und Ursprung der Kieler Woche dar, aus dem sich eines der größten Seglerfeste der Welt und das begleitende größte Volksfest Norddeutschlands entwickelt haben. 2020 und 2021 herrschen der Corona-Pandemie wegen allerdings andere Rahmenbedingungen als zuvor. Das Volksfest fällt weitestgehend aus; die Regatten werden in der verschobenen Kieler Woche statt Ende Juni Anfang September ausgetragen. Nicht nur vor Schilksee gelten besondere Regeln; auch an der Innenförde ist die Marinekutterregatta Zwängen unterworfen, die ein anderes Programm erfordern. Nicht in verschiedenen Klassen, sondern in einer gemeinsamen Klasse starten die Mannschaften auf der Förde. Dafür können an fünf Tagen insgesamt zehn Wettfahrten absolviert werden – als Höhepunkt sogar ein langer Schlag aus der Innenförde bis nach Schilksee und zurück. Das kleine Teilnehmerfeld und die Rahmenbedingungen des Berufsverkehrs machen dies möglich. Wie die Marinekutterregatta und „normalen Bedingungen“ abläuft, erzählt allerdings der folgende Text.
Klaas Hartmann-Moritzen


Marinekutterregatta seit 1881

Die Kieler Woche Marinekutterregatta hat eine lange Tradition. Der Beginn dieser Wettkämpfe lässt sich bis ins Jahr 1881 zurückverfolgen. Die Wettfahrten werden zur Kieler Woche auf der Kieler Innenförde ausgetragen.

Die Marinekutterregatten genießen unter Seglern eine große Anziehungskraft und Attraktivität. Jahr für Jahr gehen mehr Anmeldungen ein, als Plätze in den Booten zur Verfügung stehen. Der Veranstalter selbst kann nur eine begrenzte Anzahl an Segelkuttern der beiden Marineklassen zur Verfügung stellen. Diese werden extra für die Marinekutterregatta aus ihren „Heimathäfen“ – den Stützpunkten oder Schulen der Marine – abgezogen und nach Kiel verlegt. Dazu kommen noch zwei Boote von der Bundespolizei in Neustadt/Ostholstein. Nur so ist es möglich, dass alle Segelwilligen, auch jene, die über kein eigenes Boot verfügen, an den Segelregatten teilnehmen können. Gesegelt wird nicht nur auf Marinebooten. Einige Kutter stammen auch aus Privateigentum, darunter die so genannten ZK-10-Kutter, K-II-Klasse-Kutter – ehemalige Holzkutter der Marine – sowie die Jugendwanderkutter.

Ausbildung auf den Marinekuttern 1963 bei der Marine-Jugend: Praktischer Unterricht in Segelmanöver an Bord der Marinekutter. Im Bild links Admiral a.D. Wolfgang Kähler (1.v.r.), der Landesleiter der Marine-Jugend Franz Spachmann (2.v.r.) und der Leiter der Marine-Jugend Kieler Förde, Walter Sudau (3.v.r.). Foto: Kieler Stadtarchiv – Friedrich Magnussen (CC BY-SA 3.0 DE)

Die Rennen finden in unmittelbarer „Sehnähe“ statt und zwar zwischen dem Marinestützpunkt Kiel und der Bellevue-Brücke. Diese Lage ist sowohl für die Segler als auch für die Zuschauer ideal. Gesegelt wird an allen Tagen der Kieler Woche. Selbst wenn die Segler in Schilksee wegen zu viel Wind im Hafen bleiben müssen, können die Besatzungen der Kutter in der geschützten Innenförde meist weiter ihre Wettkämpfe austragen. Dennoch sind die Bedingungen anspruchsvoll. Bei viel Wind müssen die Segel durch Reffen, sprich Verkleinern, angepasst werden. Und sollte draußen auf den Regattabahnen in der Strander Bucht der Wind einmal einschlafen, ermöglicht die durch die Nähe zum Land erzeugte Thermik trotzdem noch faire Wettfahrten mit den Kuttern.

Sportbootfahrer unter Segel oder Motor, Fähren der Kieler Verkehrsbetriebe oder der Oslo- und Göteborg-Linien passieren in der schmalen Innenförde so umsichtig wie möglich die in den Wettfahrten befindlichen Boote. Alljährlich bekommt die Regattaleitung zusätzliche Unterstützung durch die Wasserschutzpolizei.

Die Regatten werden auf einem Dreieckskurs gesegelt, der durch drei Bojen gekennzeichnet ist. Die Boote sehen alle relativ gleich aus. Damit der Favorit erkennbar ist, führt der in der Gesamtwertung vorn liegende Kutter einen gelben Wimpel an der hinteren Gaffel. Über die vergangenen zehn Jahre hat sich diese Markierung bewährt.

Die Regatta

Die Marinekutterregatten beginnen mit den Rennen der „Offenen Klasse“ und der „ZK10-Klasse“. Die Wettfahrten der OK werden auf den grauen Marinekuttern gesegelt. Die Besatzungen – ein Steuermann mit achtköpfiger Crew – sind bunt zusammen gewürfelt – darunter Schüler, Auszubildende und Studierende sowie Segler aller Berufsbereiche aus ganz Deutschland. Jugendliche Mannschaften stellen das Gros der Teilnehmer – sehr im Interesse der Marine, die hier Seemannschaft hautnah erleben lässt.

Kieler Woche 1964: In der Bildmitte Marinekutter 25 und Marinekutter 92 am Alten Olympiahafen am Hindenburgufer. Foto: Kieler Stadtarchiv – Friedrich Magnussen (CC BY-SA 3.0 DE)

Die teilnehmenden Gruppen der ZK10-Klasse kommen vorwiegend aus den östlichen Bundesländern. Bei den privaten Kuttern handelt es sich um Boote, die einst der seemännischen Ausbildung von Jugendlichen und Matrosen der Gesellschaft für Sport und Technik der DDR dienten. Die Boote haben ein Unterscheidungsmerkmal – sie sind die einzigen Kutter, die auf den Vorwindkursen den Spinnaker ziehen können.

Dienstags ist „Bettenwechsel“, d.h. im Zeltlager auf dem Gelände des Marinestützpunktes geben sich verschiedene Mannschaften die Klinke in die Hand. Die Teams der „Internationalen Klasse“ beziehen ihr Quartier und noch am frühen Nachmittag starten die ersten von insgesamt sechs Wettfahrten. Die Mannschaften der „Internationalen Klasse“ stammen in erster Linie aus der deutschen und niederländischen Marine; dazu kommen einige Universitätssportgemeinschaften, der „Jugendwanderkutter“ (JWK), der „K-II-K“-Kutter und die Teilnehmer der „Offenen Landesjugendmeisterschaft im Kuttersegeln“ (OLJM).

Als Erstes gehen die Teilnehmer der „Offenen Landesjugendmeisterschaft“ in Marinekuttern an den Start. Gemischte Crews sind erlaubt; mit einer Ausnahme sind die Segler maximal 19 Jahre alt. Zur Chancengleichheit tauschen die Crews nach jedem Rennen die Kutter. Am Freitag finden die Segelregatten ihren Abschluss.

Kieler Woche 1965: Marinekutter, u.a. Marinekutter 93 vom Marinestützpunktkommando Kiel, vor dem Start am Alten Olympiahafen am Hindenburgufer. Foto: Kieler Stadtarchiv – Friedrich Magnussen (CC BY-SA 3.0 DE)

Das Kutterrace

Das Kutterrace am letzten Sonnabend der Kieler Woche bildet den Höhepunkt der Marinekutterregatten. Die Rennstrecke verläuft auf Höhe des Düsternbrooker Sporthafens entlang der Kiellinie. Wer sich unter der Formulierung „in die Riemen legen“ nichts vorstellen kann, hat hier die Möglichkeit, diese Wissenslücke zu schließen. Dieses Jahr werden für das Kutterrace mehr als zwanzig Anmeldungen erwartet. Die Teams ermitteln in Vor- und Endläufen auf einer Distanz von 1000 Metern mit bis zu acht Booten nebeneinander ihren Sieger. Neben Herren- nehmen auch Damenmannschaften an dem kräftezehrenden Rennen teil.

Jedes Jahr kommen rund 120 Segelcrews mit mehr als 1000 Teilnehmern nach Kiel. Der Großteil der Segler ist auf dem Stützpunktgelände im traditionellen Zeltlager untergebracht. Vor Ort versorgen sich die Gruppen selbst. Die Bundeswehr stellt Wasser, Strom und sanitäre Einrichtungen zur Verfügung. Auf die fröhliche und gemeinschaftliche Stimmung in der bunten Zeltstadt freuen sich viele Segler bereits lange vor Beginn der Kieler Woche.

Vielen Frauen und Männern im Hintergrund ist es zu verdanken, dass die insgesamt mindestens 36 Regatten auf hohem Niveau durchgeführt werden können. Die Unterstützungsgruppe besteht aus knapp 50 Menschen, die für die organisatorische und technische Abwicklung der Regatten verantwortlich zeichnen, darunter erfahrene Kräfte aus Reihen der Marine und ehemalige Soldaten. Ohne sie ginge es nicht. Sie sorgen stets dafür, dass die Kutter pünktlich zu jedem Rennen voll einsatzbereit sind.
Thomas Geburzky,
bis 2020 Leiter der Marinekutterregatta